
GGrundkenntnisse der Informatik werden nicht erst seit einigen Jahren immer wichtiger – im Berufsleben ebenso wie im Alltag, wenn es darum geht, die immer vielfältigeren digitalen Anwendungen zu verstehen. Während die große Mehrheit der Länder in Europa mittlerweile Informatik als Pflichtfach an Regelschulen vorschreibt, hinkt Deutschland in dieser Hinsicht weit hinterher. Das geht aus einer aktuellen Analyse des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft hervor, die der FAZ vorab zugegangen ist.
In 28 von insgesamt 37 untersuchten europäischen Ländern erhalten Schulkinder flächendeckend für mindestens einen Teil ihrer Schulzeit verpflichtenden Informatikunterricht, in einigen Ländern bereits ab der Grundschule, zeigt die Analyse. Deutschland hingegen gehört zu einer Gruppe von 9 Ländern ohne allgemeine Schulpflicht in diesem Fach. Laut der Analyse, die auf Daten einer Erhebung der EU-Kommission basiert, bieten die meisten Bundesländer Informatik entweder nur als Wahlfach, nur in kurzen Einheiten oder gar nicht an. Lediglich Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen stechen mit mindestens zweijährigen Informatik-Pflichtstudiengängen positiv hervor.
„Um die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands nicht noch weiter zu gefährden, müssen alle Länder ein Pflichtfach Informatik nicht nur einführen, sondern auch über einen Zeitraum von mehr als ein oder zwei Jahren anbieten“, heißt es in der Zeitung, die der Stifterverband gemeinsam mit Heinz-Nixdorf betreibt Stiftung. So sieht das auch der Digitalverband Bitkom: „Deutschland braucht einen bundesweit verbindlichen Informatikunterricht ab der Sekundarstufe I, der vor allem Programmierkenntnisse, aber auch soziokulturelle und anwendungsorientierte Gespräche über digitale Technologien fördert.“
Fast 100.000 Stellenangebote für IT-Fachkräfte
Ein zentrales Argument ist der Wandel auf dem Arbeitsmarkt, der die Nachfrage nach Digital- und IT-Kompetenzen in vielen Berufsfeldern stark ansteigen lässt. Der Stifterverband verweist auf eine Studie der Bertelsmann Stiftung, wonach solche Kenntnisse mittlerweile in vier von fünf Berufen erforderlich sind, bei hochqualifizierten Berufen sogar für 94 Prozent. Und laut einer Bitkom-Umfrage waren 2021 bereits knapp 100.000 Stellen für Fachinformatiker unbesetzt – bei absehbarer stark steigender Nachfrage.
Dabei gehe es nicht nur um wirtschaftliche Aspekte, sondern auch um die gesamtgesellschaftliche Bedeutung, wie der Stifterverband, eine traditionelle Gemeinschaftsinitiative der deutschen Wirtschaft, betont: „Reife braucht den kompetenten Umgang mit digitalen Medien“, betont er. „Nur wer über IT-Kenntnisse verfügt, kann die Chancen und Risiken einer digitalisierten Welt realistisch einschätzen“ – sei es im Datenmanagement, in Fragen zum Schutz personenbezogener Daten oder in der digitalen Kommunikation.
Zwar hat die Kultusministerkonferenz (KMK) der schulhoheitlichen Länder kürzlich erklärt, sie wolle die Informatikausbildung stärken. Allerdings fehle es laut Kritikern – wie so oft – an einer entschlossenen Umsetzung. In einer Ende 2021 ausgesprochenen Empfehlung der KMK hieß es: „In den kommenden Jahren sollen Umsetzungsstrategien zur Förderung von IT-Kompetenzen entwickelt werden.“
20.000 Lehrer fehlen
Die Ständige Akademische Konferenz der KMK hat im September 2022 einen breit angelegten Bericht vorgelegt, der dies verdeutlicht – allerdings ist es zunächst nur ein Bericht: Bislang ist die „Vermittlung digitaler Kompetenzen und Informatikinhalte noch nicht ausreichend verankert den Bildungsplänen”, schreibt sie – und empfahl, ab der 5. Klasse “Informatik als Pflichtfach in allen Bundesländern ab dem Schuljahr 2024/25” einzuführen.
Die aktuelle Evaluation des Stifterverbandes stellt fest, dass es in einigen Bundesländern tatsächlich Fortschritte gibt. Niedersachsen, das Saarland und Schleswig-Holstein wollen ab Herbst 2023 schrittweise ein Pflichtfach Informatik flächendeckend einführen. Hamburg will 2024 nachziehen. Baden-Württemberg, Bayern und Nordrhein-Westfalen haben bereits Pflichtklassen eingeführt, bleiben aber mit einer Dauer von weniger als zwei Jahren bisher hinter den Empfehlungen zurück.
In der Spitzengruppe des europäischen Vergleichs befinden sich beispielsweise Bulgarien, Griechenland, Lettland, Serbien und Bosnien-Herzegowina. Der Informatikunterricht findet durchgehend ab der Grundschule statt. Hierzulande gibt es jedoch neben politischem Zögern und der Frage, was aus dem Lehrplan herausgelassen werden sollte, ein weiteres praktisches Problem: Nach Hochrechnungen des Stifterverbandes fehlen 20.000 IT-Lehrkräfte – deren Ausbildung muss erst einmal erfolgen ausreichend breit organisiert sein.