Eine Kindermumie aus dem Hochadel

Auch Mitglieder des europäischen Hochadels lebten früher nicht unbedingt gesund, wie die fast 400 Jahre alten mumifizierten Überreste eines Adelsbabys zeigen. Die virtuell obduzierte Kindermumie stammt aus der Gruft der Grafen von Starhemberg in Oberösterreich. Der Ein- bis Eineinhalbjährige war zu Lebzeiten gut ernährt und übergewichtig, zeigte aber deutliche Anzeichen von Rachitis – vermutlich verursacht durch fehlendes Sonnenlicht.

Wenn ein toter Körper mumifiziert wird, konserviert die Dehydrierung auch Organe, Gewebe und andere Weichteile. Dadurch bieten Mumien einzigartige Einblicke in das Leben und Sterben von Menschen aus vergangenen Zeiten. Während jedoch viele Mumien aus Südamerika oder Ägypten bekannt sind, bleiben sie in Europa sehr selten. Nur bei einigen der Toten, die in einem Grab oder einer Krypta begraben wurden, waren die Bedingungen trocken genug, um eine Mumifizierung zu ermöglichen.

Geheimnis um den hölzernen Kindersarg in der Adelsgruft

Andreas Nerlich vom Klinikum München-Bogenhausen und seine Kollegen haben nun eine ganz besondere Rarität untersucht: die Mumie eines Kindes aus dem europäischen Adel. Es stammt aus der Gruft der Grafen von Starhemberg, einem der ältesten Adelsgeschlechter Österreichs. Die Abstammung dieser Familie reicht bis ins 11. Jahrhundert zurück, seit 1212 leben sie auf Schloss Wildberg, etwa 15 Kilometer von der Stadt Linz entfernt. Seit 1499 befand sich im nahe gelegenen Hellmonsödt die Familiengruft der Familie von Starhemberg, in der die Grafen, ihre erstgeborenen Nachkommen und in seltenen Fällen auch ihre Frauen beigesetzt wurden.

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„Die meisten dieser Toten wurden in prächtigen Metallsärgen beerdigt, auf denen die Namen der Verstorbenen geschrieben standen“, berichten Nerlich und seine Kollegen. Umso ungewöhnlicher ist ein kleiner hölzerner Kindersarg, der ohne Inschrift oder sonstigen Hinweis auf seinen Inhalt in der Krypta stand. Um mehr über das darin begrabene Kind zu erfahren, haben Nerlich und sein Team den Sarg nun erstmals geöffnet und festgestellt, dass das Kind mumifiziert und damit sehr gut erhalten ist. Anschließend unternahmen sie die Leiche einer virtuellen Autopsie mittels Computertomographie und entnahmen Gewebeproben, um das Alter und den Gewebezustand des Kindes analysieren zu können.

Erstgeborener Sohn eines Grafen

Die erste Frage war, wer ist dieses Kind. Trotz des schmucklosen Holzsargs sei der Leichnam in einen fein gewebten, teuren Seidenumhang gehüllt gewesen, was auf eine hohe Stellung hindeute, berichten die Forscher. Kombiniert mit der Tatsache, dass das Kind in der Familiengruft der Grafen von Starhemberg beigesetzt wurde, lag der Schluss nahe, dass es sich um ein Mitglied dieser Adelsfamilie handeln musste – aber wer? Die Radiokohlenstoffdatierung der Gewebeproben ergab, dass das Kind zwischen 1456 und 1635 gestorben sein muss. Da die Starhemberger Krypta Anfang des 17. Jahrhunderts rekonstruiert wurde, gingen Nerlich und sein Team von einem Todeszeitpunkt nach 1600 aus.

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Um die Identität des Kindes zu klären, durchsuchten die Wissenschaftler den Starhemberg-Stammbaum nach Hinweisen auf früh verstorbene Familienmitglieder und fanden 20 Einträge. Aber nur drei von ihnen waren Erstgeborene – und kamen daher für eine Beisetzung in der Krypta infrage. Von diesen starben zwei vorzeitig, so dass Reichard Wilhelm von Starhemberg, geboren 1625, als wahrscheinlichster Kandidat übrig blieb. „Nach unseren Angaben war dieses Kind der erste Sohn des Grafen und das erste Kind, das nach der Renovierung der Krypta starb“, erklärt Nerlich. Der Leichnam wurde neben dem Sarkophag seines Großvaters Reichard von Starhemberg beigesetzt.

Rachitis durch Mangel an Sonnenlicht

Als nächstes werteten die Forscher die Ergebnisse ihrer virtuellen Autopsie aus. Die CT-Bilder zeigten, dass es sich bei dem verstorbenen Grafensöhnchen um ein 53 Zentimeter großes, ein- bis anderthalb Jahre altes Kleinkind handelte. Wie von den historischen Aufzeichnungen erwartet, war das Baby ein Junge. Darüber hinaus zeigte die Mumie dieses Kindes einige Anzeichen pathologischer Veränderungen. „Der erste war ein Hinweis auf Übergewicht des Kindes, was sich in der Dicke der Fettschicht unter der Haut widerspiegelte“, berichten Nerlich und seine Kollegen. Auch deutliche Fettfalten an den dicken Beinen des Kindes zeugen von seiner pummeligen Statur. Der Sohn des kleinen Grafen wurde gut ernährt – eher zu gut.

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Eine Krankheit war viel schwerwiegender und zeigte sich hauptsächlich in den charakteristischen Missbildungen der Rippen und des Brustkorbs: Der kleine Junge litt offenbar an Rachitis. Diese Krankheit ist eine Folge eines chronischen Mangels an Vitamin D, der durch Mangelernährung, aber auch durch zu wenig Sonnenlicht verursacht werden kann. Denn diese ist notwendig, um die Vorstufen dieses für die Knochen wichtigen Vitamins in der Haut in die biologisch aktive Form umzuwandeln. „Da dieser Säugling eindeutig nicht unterernährt war, müssen seine schwachen Knochenläsionen auf eine andere Vitamin-D-Stoffwechselstörung zurückzuführen sein“, sagen Nerlich und seine Kollegen.

Als naheliegendste Erklärung sehen die Forscher den Mangel an Sonnenlicht. „Früher mieden sozial fortgeschrittene Menschen die Sonnenstrahlen und die damit verbundene Bräunung der Haut“, erklären sie. “Von Aristokraten wurde erwartet, dass sie weiße, blasse Haut haben, während Arbeiter gebräunt waren.” Für den jungen Grafensohn hatte der Sonnenschutz jedoch schwerwiegende Folgen – und vielleicht sogar indirekt die Todesursache. Denn, wie Nerlich und sein Team erklären, geht Rachitis oft mit einer erhöhten Infektanfälligkeit einher. CT-Scans der Lungen des Babys zeigen, dass er zum Zeitpunkt seines Todes eine schwere Lungenentzündung hatte und möglicherweise daran gestorben ist.

Quelle: Grenzen; Artikel: Frontiers in Medicine, doi: 10.3389/fmed.2022.979670

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