Großbritannien – Land vor dem Kollaps

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Von: Sebastian Börger

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Großbritanniens Infrastruktur bricht zusammen – Folgen des Brexit, der Pandemie und der Tory-Regierung.

London – Eigentlich wollte Rishi Sunak über den Mangel an Mathematikkenntnissen unter der britischen Jugend sprechen. Doch für den seit Ende Oktober im Amt befindlichen Ministerpräsidenten gilt zu Beginn des Jahres vor allem die Autorität seiner konservativen Regierung: Die Streikserie im öffentlichen Dienst reißt nicht ab, die Lage in der Das Gesundheitssystem des NHS hat den Charakter eines Notfalls. Bei einem seiner seltenen öffentlichen Auftritte war der Regierungschef am Mittwoch hart: Keine Zugeständnisse an die Streikenden.

Der seit Monaten andauernde Bahnstreik hat die Rückkehr der Menschen an ihren Arbeitsplatz nach den Ferien stark erschwert. Nur 20 Prozent der geplanten Züge fuhren am Dienstag (3. Januar). Der Verband der Privatbahnen hatte bereits im Vorfeld darum gebeten, eine Fahrt gar nicht erst zu versuchen.

Teile der britischen Bevölkerung haben die Machtspiele der Konservativen gründlich satt.
Teile der britischen Bevölkerung haben die Machtspiele der Konservativen gründlich satt. © AFP

Großbritannien: Jetzt muss kräftig gespart werden

Die Gewerkschaften RMT für Zugwächter und -reiniger und ASLEF für Lokführer fordern mehr Arbeitsplatzsicherheit und zweistellige Lohnerhöhungen, um die deutlichen Preissteigerungen zu kompensieren. Nach Angaben der Statistikbehörde ONS waren es im November 10,7 Prozent; Lebensmittelpreise stiegen um 16,6 Prozent. Arbeitgeber bieten jeweils 4,5 Prozent für die nächsten zwei Jahre.

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RMT-Chef Mick Lynch fordert seit Monaten direkte Verhandlungen mit der Regierung, weil diese der Bahnindustrie und dem halbstaatlichen Infrastrukturunternehmen Network Rail finanziell die Hände gebunden hat. Verkehrsminister Mark Harper bestätigt dies indirekt: „Das Geld der Steuerzahler ist nicht unbegrenzt.“ Während der Pandemie musste der Staat Milliarden in privatisierte Unternehmen spritzen, um das System am Laufen zu halten. Warum muss jetzt hart gespart werden. Als Folge des Streits wandern die Kunden massenhaft ab: Die Gebrauchtwagenbranche meldet eine massive Nachfrage, mehr als die Hälfte nennt als Grund „immer unzuverlässigere öffentliche Verkehrsmittel“.

Auch Postboten, Hochschullehrer und Grenzschützer streiken jetzt für mehr Geld. Besonderes Kopfzerbrechen bereitet Sunak der Streik im staatlichen Gesundheitsdienst NHS. Denn die Beschäftigten dort, die erst Mitte des Monats wieder streiken wollen, genießen die Unterstützung der Mehrheit der Bevölkerung. Am Mittwoch stellte die Boulevardzeitung Mirror die fünf Tory-Premierminister seit 2010 mit der Schlagzeile vor: „Sie haben unseren NHS ruiniert.“ Nicht wenige auf der Insel haben das schon sehr lange so gesehen.

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Längerer Ausfall in Großbritannien

Gesundheitsminister Steve Barclay macht Covid furchtlos verantwortlich für die verheerend langen Wartezeiten für Krankenwagen überall, aber auch für Routinetermine in Operationen. Die Medizin hingegen weist auf langfristige Entwicklungen hin: zu wenig Prävention, zu wenig Krankenhausbetten, zu wenige Pflegeheimplätze.

Ein Sprecher der Downing Street musste vor Sunaks Rede zugeben: Viele Menschen hätten in diesem Winter „große Probleme“ gehabt, sich behandeln zu lassen. Hausarzttermine werden wie Goldstaub behandelt. Die Warnung einer Leitstelle während des letzten Streiks vor Weihnachten machte deutlich, wie schlimm die Notlage ist: “Rufen Sie die Notrufnummer nur an, wenn Sie glauben, dass Sie sterben werden.”

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Wer einen Herzinfarkt oder Schlaganfall erlitten hat, muss sich selbst an normalen Tagen durchschnittlich 60 Minuten gedulden; In ländlichen Gebieten kann es anderthalb Stunden dauern, bis die Nothilfe eintrifft. Abgesehen von Schweden hat das Königreich die niedrigste Zahl an Krankenhausbetten in Europa, mit etwas mehr als zwei pro 1.000 nur ein Drittel des Bestands in Deutschland. Zudem sind viele Betten von älteren Menschen belegt, deren Entlassung am Heimplatzmangel scheitert. Adrian Boyle von der Emergency Medicine Professional Association schätzt, dass jedes Jahr bis zu 25.000 Menschen sterben, weil ihnen nicht rechtzeitig geholfen wird.

Eine rasche Besserung ist nicht in Sicht, Hunderttausende Stellen im Gesundheitswesen sind unbesetzt. Weil der Brexit die Rekrutierung europäischer Fachkräfte erschwert, laufen jetzt Werbekampagnen zum Beispiel in Afrika – wo die Konservativen wieder Migranten abschieben. (Sebastian Borger/FR)

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