
Das Christentum und seine Bräuche waren den Nationalsozialisten ein Dorn im Auge. Schließlich sollte nicht Jesus Christus als Retter gefeiert werden, sondern der „Führer“ Adolf Hitler. Auf ihn allein sollten die Deutschen in der Weihnachtszeit ihr Vertrauen und ihre Hoffnung setzen. Das Regime bemühte sich, das christliche Weihnachtsideal durch einen national orientierten, nationalsozialistischen Weihnachtskult zu ersetzen.
Bei diesem Kreuzzug rückten auch Weihnachtslieder in den Fokus der Nazis. Alle Verbindungen zwischen dem christlichen Glauben und dem Judentum mussten ausgelöscht werden. Während der NS-Zeit wurden sogar die Texte beliebter Weihnachtslieder umgeschrieben. Jüdische Namen wie Isai oder Isaiah verschwanden aus dem Standardrepertoire an Heiligabend „Es ist ein Ros ausspringen“, ganze Zeilen wurden komplett ersetzt. Songs wie “Tochter Zion, Joyce!” und “In Bethlehem is Born” wurde komplett verboten.
Neue Weihnachtslieder in der NS-Zeit
Auch ganz neue Weihnachtslieder wurden in der NS-Zeit komponiert, darunter das stark beworbene Lied „Hohe Nacht der klaren Sterne“. Es wurde noch in der Nachkriegszeit von Künstlern wie dem deutschen Schlagersänger Heino gesungen.
Der ursprünglich christliche Inhalt des Schweizer Liedes „Uns ist eine Nacht gekommen“ ist seither fast vollständig in Vergessenheit geraten – anders als die NS-Umformulierung, die eine Winterwanderung beschreibt.
Zu den neu geschriebenen Weihnachtsliedern während der NS-Zeit gehörte das Stück „Erinnerst du dich, wie es passiert ist“) des regimetreuen Dichters Hermann Claudius (1878-1980).
Er schrieb das Lied 1939. Es steht noch heute im evangelischen Gesangbuch und wird wegen seiner schlichten, aber schönen Melodie noch heute in vielen Gemeinden gerne zur Weihnachtszeit gesungen. Im Gegensatz zu vielen anderen Weihnachtsliedern aus der Nazizeit, die voller Wichtigtuerei und Pathos waren, ist der Text des Liedes eher unscheinbar.

Problematischer Autor, unproblematischer Text
Tatsächlich bemerkte der Musikwissenschaftler Udo Wennemuth in seinem Buch „Liederkunde zum Evangelischen Hymnal“, dass der Text von „Weißt du noch, wie es passiert ist“ auf Anregung eines christlichen Verlegers geschrieben wurde, der das nicht veröffentlichen wollte Schluss mit der “liturgischen Erosion” von Weihnachten.
Hermann Claudius schrieb in seiner Karriere aber auch Zeilen wie „Herr Gott, hilf dem Führer, dass sein Werk Dein sei“.
Auch nach dem Ende der NS-Diktatur sei das Lied „Weißt du noch, wie es passiert ist“ nicht in Frage gestellt worden, sagte Christa Kirschbaum, Musikdirektorin der Landeskirche Hessen-Nassau. Deshalb finde sie es unangebracht, in Gottesdiensten weiterhin “Do You Remember How It Happened” zu singen.
Ansgar Franz, Professor am Institut für Praktische Theologie der Universität Mainz, sieht das anders: Nicht das Lied sei historisch aufgeladen, “sondern der Autor”.
Hier sei zu differenzieren: “Das Lied repräsentiert nicht die nationalsozialistische Sicht auf Weihnachten.” Franz geht davon aus, dass es in den christlichen Gesangbüchern keine belasteten Lieder gibt, „sondern möglicherweise Autoren, denen in der Zeit des Nationalsozialismus die nötige Distanz zum Regime fehlte“.
Überprüfung des Gesangbuches
Im DW-Interview ist Franz überzeugt: „In den christlichen Gesangbüchern gibt es kein einziges ‚belastetes‘ Lied“, also ein Lied, das rassistische, fremdenfeindliche Inhalte verbreitet, auch wenn es indirekt oder nicht sofort sichtbar ist. Franz ist nicht besonders dafür, die Geschichte jedes Autors zu untersuchen, bevor er ein Lied gutheißt.
„Aber jetzt jeden Song, der als ‚gut‘ gilt, daraufhin zu prüfen, ob der Schreiber politisch und theologisch korrekt war? Macht das Sinn? Wie weit muss das gehen? (…) Ich bin sehr dafür Songs, aber wie weit sollte eine Untersuchung der Autoren gehen?”
Experten aus Deutschland und Österreich arbeiten derzeit an einer Überarbeitung des in den 1990er Jahren eingeführten Evangelischen Gesangbuchs. Christa Kirschbaum ist auch Mitglied der Kommission, die über deren Inhalt entscheidet. Ob das Weihnachtslied von 1939 dort noch einmal veröffentlicht werde, sei noch unklar, sagt Kirschbaum.
Dieser Artikel wurde ursprünglich auf Deutsch verfasst.