
Greifswald (dpa) – Experten befürchten einen Ausbruch der Vogelgrippe in einer spanischen Nerzfarm. Sie sehen Anzeichen dafür, dass sich das H5N1-Virus an Säugetiere anpasst – und das könnte es auch für Menschen gefährlicher machen.
Die Erreger seien zuvor auch bei anderen Säugetierarten – etwa Waschbären, Füchsen, Mardern oder Robben – nachgewiesen worden, sagte Thomas Mettenleiter, Präsident des Friedrich-Loeffler-Instituts für Tiergesundheit, der Deutschen Presse-Agentur. Bisher gab es jedoch einzelne Ereignisse, bei denen das Virus von einem Vogel auf ein Säugetier übergegangen ist.
Mit dem Ausbruch in Spanien im Oktober 2022 könne es aber sein, dass „sich der Erreger wirklich von Säugetier zu Säugetier ausbreitete – also von Nerz zu Nerz“. Auch andere Forscher halten dies für möglich oder sogar wahrscheinlich. Die Ereignisse in der Zucht des spanischen Nerzes könnten ein Hinweis auf einen weiteren Anpassungsschritt des Virus sein, sagt Mettenleiter.
Die Wohnverhältnisse fördern die Zersiedelung
Hintergrund der Sorge ist die derzeit grassierende, größte jemals dokumentierte Vogelgrippewelle bei Vögeln, die sich über mehrere Kontinente ausbreitet. Dies gibt dem Erreger mehr Möglichkeiten, sich auf Säugetiere auszubreiten. Zudem seien die beengten Haltungsbedingungen der Nerze einer solchen möglichen Ausbreitung zwischen diesen Tieren förderlich gewesen, sagt Mettenleiter. Daher sei der Vorfall in Spanien “definitiv ein Warnsignal”.
Tom Peacock, Virologe am Imperial College London, war noch drastischer. „Das ist unglaublich besorgniserregend“, sagte er dem Magazin „Science“. Für ihn ist dies „ein klarer Mechanismus, wie eine H5-Pandemie beginnen könnte“.
Tiere auf einer Farm in der nordwestlichen Region Galiziens begannen im Oktober letzten Jahres zu sterben, berichtete das Magazin Science. Zunächst rechneten Tierärzte mit dem Coronavirus als Auslöser. Tests zeigten jedoch, dass das H5N1-Virus für die Todesfälle verantwortlich war. Infolgedessen wurden die mehr als 50.000 Nerze der Farm getötet und ihre Kadaver zerstört. Landarbeiter selbst wurden nicht infiziert. Eine Analyse des Falls ist soeben im Magazin „Eurosurveillance“ erschienen.
Risiko für die öffentliche Gesundheit
Weil die Rezeptoren, an denen das Virus in den Atemwegen von Vögeln andockt, bei Säugetieren seltener sind, bleiben sie laut „Science“ von der Vogelgrippe meist verschont. Tiere könnten sich jedoch durch den Verzehr von Wildvogelkot oder Beute infizierter Tiere mit der Vogelgrippe infizieren, sagte Hualan Chen, Virologe am Harbin Veterinary Research Institute in China, gegenüber der Zeitschrift Nature. Die Verbreitung unter Säugetieren weist dagegen auf ein größeres Risiko für die öffentliche Gesundheit hin.
Laut dem “Science”-Bericht ist nicht bekannt, wie leicht das im Nerz gefundene Virus Menschen infizieren oder sich zwischen ihnen ausbreiten kann. In Virusproben von vier Tieren wurden jedoch mehrere Mutationen gefunden. Einer davon trägt dazu bei, dass sich das H5N1-Virus in Säugetiergewebe besser vermehren kann. Eine andere bekannte, besorgniserregende Mutation wurde jedoch nicht gefunden.
Nerzindustrie als Nährboden für Virusmutationen
Die Vogelgrippe-Epidemie verdeutlicht auch die Risiken der Nerzzucht. Auch das Coronavirus, das von Menschen in die Nerzfarmen eingeschleppt wurde, breitete sich schnell unter den Tieren aus. Forscher befürchten, dass die Nerzindustrie zu einer ständigen Infektionsquelle und einem Nährboden für virale Mutationen werden könnte.
Die Vogelgrippe plagt Europa seit Jahren regelmäßig. Während der Vogelzugerreger in der Vergangenheit hierzulande vor allem in der kalten Jahreszeit auftrat, kommt es neuerdings ganzjährig zu Infektionen. Das derzeit dominierende Virus gilt als ungefährlich für den Menschen.
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